Jesus sagte einmal zu seinen Jüngern: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet ihr gar nicht in das Reich der Himmel eingehen! (Matthäus 5,20). Damit meinte er, dass die Gerechtigkeit, die Gott verlangt, um gerettet zu werden, nicht etwas Äußerliches ist, das man tut, um von den Menschen gesehen zu werden, sondern dass sie im Herzen beginnt.

In der „Bergpredigt“ in Matthäus 5 zeigt Jesus, dass die Befolgung des Gesetzes auch eine Disziplin des Denkens erfordert und dass böse Gedanken bereits eine Übertretung der Gebote Gottes darstellen und mit ewiger Strafe belegt sind.

Wenn dem so ist, wer kann dann vor Gott als gerecht anerkannt werden und in das Reich Gottes kommen? Muss man dafür den Geboten Gottes vollkommen gehorchen? Der Apostel Paulus sagt in seinem Brief an die Römer (3,19-20), dass der Zweck des Gesetzes nicht darin besteht, uns gerecht vor Gott zu machen, sondern die Sünde in uns aufzudecken:

Wir wissen aber, daß das Gesetz alles, was es spricht, zu denen sagt, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei, weil aus Werken des Gesetzes kein Fleisch vor ihm gerechtfertigtb werden kann; denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.

Paulus betont, dass wir, um gerettet zu werden, eine „fremde“ Gerechtigkeit brauchen, eine Gerechtigkeit, die uns äußerlich ist und die wir durch den Glauben empfangen. Er sagt in Römer 3,21-22:

Jetzt aber ist außerhalb des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes offenbar gemacht worden, die von dem Gesetz und den Propheten bezeugt wird, nämlich die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, die zu allen und auf alle kommt, die glauben.

Die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben ist eine der großen Lehren der Bibel. Martin Luther nannte sie „die Lehre, durch welche die Kirche steht oder fällt“. Die Rechtfertigung ist ein entscheidender Bestandteil der Errettung. Sie ist der Akt, wodurch Gott dem Sünder Frieden schenkt. Die Rechtfertigung ist von Gott abhängig, vom Erlösungswerk Jesu Christi, und nicht von irgendeiner subjektiven Erfahrung des Christen. Sie ist ein einzigartiges Ereignis im Leben eines Christen. Das Heil selbst ist ein Prozess, der seine Wurzeln in der Rechtfertigung hat.

Der Rechtfertigungsakt

Ein einzigartiger Akt

Im Gegensatz zur Heiligung ist die Rechtfertigung kein Prozess, in dessen Verlauf wir besser werden, sondern ein Akt rechtlicher Natur, durch den Gott den Sünder als gerecht ansieht, ihn auf der Grundlage der Gerechtigkeit Christi für gerecht „erklärt“. Es handelt sich um einen einzigen, vollkommenen und endgültigen Akt.

Doppelte Zurechnung

Gottes Rechtfertigungsakt kann so betrachtet werden, dass er eine doppelte Zurechnung beinhaltet. Einerseits werden die Sünde und die Schuld des bußfertigen Gläubigen Jesus Christus zugerechnet. Andererseits wird dem Gläubigen durch den Glauben die Gerechtigkeit Christi angerechnet, wodurch der Gläubige für „gerecht“ erklärt wird.

Die Vergebung und die Annahme

Die Rechtfertigung umfasst die Vergebung der Sünden und die Annahme in die Familie Gottes :

  1. Dem Sünder wird auf der Grundlage der Gerechtigkeit Christi vergeben. Die Vergebung umfasst nicht nur die bereits begangenen Sünden – sondern erstreckt sich auf alle Sünden, vergangene und zukünftige.
  2. Der Sünder wird als Kind Gottes angenommen. Gott nimmt ihn in seine Familie auf und gewährt ihm alle Rechte eines Erben und eines leiblichen Kindes
    (Römer 8,17 – 1.Petrus 1,4).

Die instrumentelle Ursache der Rechtfertigung

Die instrumentelle Ursache der Rechtfertigung (wodurch wir gerechtfertigt werden) ist laut der katholischen Kirche zum einen das Sakrament der Taufe und zum anderen das Sakrament der Buße. Die römische Kirche definiert diese Sakramente als die Werkzeuge, wodurch eine Person gerechtfertigt wird. Taufe und Buße lassen die göttliche Gnade in die Seele des Gläubigen einfließen, und diese Gnade reinigt die Seele. Wenn Gott sieht, dass diese Gerechtigkeit in einen Menschen tatsächlich vorhanden ist, nimmt er ihn an oder rechtfertigt ihn.
Der Unterschied zwischen katholischen und evangelischen Christen besteht darin, dass für Katholiken die Erlösung „sakramentell“ vollzogen wird (d. h. durch die Verwaltung der Sakramente durch die Kirche) und dass für Protestanten die Erlösung allein durch den Glauben an Jesus Christus erlangt wird. Für Protestanten ist der Glaube das einzige Instrument der Rechtfertigung, weil wir uns durch den Glauben auf die Gerechtigkeit Christi verlassen und sie empfangen. Die Gerechtigkeit Christi, die Vorzüge seines Sühnewerks, seine Verdienste, werden demjenigen, der glaubt, „kostenlos“ angeboten. „Der Gerechte wird aus Glauben leben“, sagt Paulus in Römer 1,17. Wir werden nicht durch den Glauben plus Werke gerechtfertigt, sondern allein durch den Glauben. Alles, was nötig ist, um in das Reich Gottes einzutreten, ist der Glaube oder das Vertrauen in das Werk Christi allein.
Manche Menschen sagen, dass sie an die Rechtfertigung allein durch den Glauben glauben, betrachten ihren Glauben aber so, als wäre er ein Verdienst oder ein gutes Werk, das den Anforderungen der Gerechtigkeit Gottes genügt. Die Tatsache, dass eine Person den Glauben besitzt, fügt ihrem Konto keinen Verdienst hinzu. Was uns rettet, sind die Verdienste Christi, die uns angerechnet werden. Wir können diese Verdienste nur durch den Glauben empfangen, und es gibt keinen Verdienst dafür. Der einzige, der uns retten kann, ist Christus (solus Christus), und der einzige Weg, diese Rettung zu erlangen, ist der Glaube (sola fide). Wir verlassen uns für unser Heil auf nichts anderes als auf Christus und seine Gerechtigkeit.

Welche Rolle spielen die Werke?

Ist es nicht zu einfach zu behaupten, dass der Glaube allein ausreicht, um gerettet zu werden? Lehrt Jakobus nicht in seinem Brief, dass wir auch aus Werken gerechtfertigt werden?
Darauf antworten wir mit zwei Punkten:

  1. Wir werden allein durch den Glauben gerechtfertigt, aber dieser Glaube ist kein „nackter“ Glaube (ohne Werke). Nachdem Paulus gesagt hat, dass wir aus Gnade durch den Glauben gerettet werden, erklärt er in seinem Brief an die Epheser, dass wir Gottes Werk sind, da wir in Christus Jesus zu guten Werken erschaffen (genauer gesagt: neu geschaffen) wurden, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen. (Eph. 2,8-10)
  2. Jakobus warnt in seinem Brief vor einem Glauben, der sich auf eine bloße intellektuelle Zustimmung beschränken würde. Er kritisiert nicht, was Paulus sagt, sondern betont, dass wahrer Glaube notwendigerweise gute Werke hervorbringen wird, die den „Beweis“ dafür liefern, dass man einen rettenden Glauben besitzt.