Für wen starb Jesus Christus?

Zunächst erläutern wir, was Sühne bedeutet. Der theol. Begriff Sühne (oder auch Sühnung in der Elberfelder-Übersetzung) verweist auf das Erlösungswerk Jesu am Kreuz. Die Befreiung von der Schuld, die der Mensch auf sich geladen hat, aufgrund der Sünde, verlangt bei Gott eine Ausgleichsleistung, weil Gott heilig und gerecht ist. Weil der Mensch diesen Preis nicht selbst bezahlen kann, muss ihn einer an seiner Stelle bezahlen. Das tat Jesus Christus ein für alle Mal durch seinen stellvertretenden Tod am Kreuz. Mit diesem Tod ist Gott zufrieden, da die Sünde tatsächlich bestraft wurde und Gott somit dem reumütigen Sünder vergeben kann.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff „spezielle Sühne“ oder auch „begrenzte Sühne“? Es macht deutlich, dass das Erlösungswerk Christi von Anfang an nur denjenigen zugutekommt, die tatsächlich Gott um Vergebung bitten und an Jesus Christus glauben. In sich selbst ist das Werk Jesu nicht begrenzt und könnte für die ganze Welt reichen, aber es ist nur für diejenigen wirksam, die es in Anspruch nehmen. Diese wichtige Lehre der „speziellen Sühne“ gehört zu den sogenannten fünf Punkten des Calvinismus. Es heißt kurzgefasst: Jesus Christus ist nicht undifferenziert für die ganze Menschheit gestorben, sondern ausschließlich für diejenigen, die am Ende tatsächlich gerettet werden. Der wichtigste Gedanke dahinter ist, dass das Blut Jesu zu kostbar ist, um für Menschen vergossen zu werden, die Gott schmähen.

Man nennt auch die Lehre der speziellen Sühne Partikularismus. Die anderen Positionen sind:

  • Der konsequente Universalismus
  • Der inkonsequente Universalismus

Befürworter des konsequenten Universalismus sind der Auffassung, dass Christi Blut für die ganze Welt vergossen wurde und dadurch alle tatsächlich gerettet hat. Diese Position wird jedoch durch die Tatsache widerlegt, dass am Ende viele doch nicht gerettet werden. Allversöhner bilden eine Ausnahme, weil sie wirklich glauben, dass alle Menschen in den Himmel kommen.

Zu dem sog. inkonsequenten Universalismus gehören die meisten evangelikalen Christen. Sie vertreten den Gedanken, dass das Werk Christi die Erlösung aller Menschen zusichert, das Heil jedoch an eine Bedingung geknüpft wird. Da nicht alle Menschen das Werk Christi in Anspruch nehmen, können sie nicht alle gerettet werden.

Der Satz „Jesus ist nicht für die ganze Welt gestorben, sondern nur für bestimmte Menschen“ kann auf den ersten Blick viele Leser schockieren, denn diese Aussage scheint, dem universalen Charakter des Evangeliums zu widersprechen. Hat nicht Jesus Christus seinen zwölf Aposteln befohlen: Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker? Hat nicht Gott seinen Sohn für die ganze Welt gegeben, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht?

Ein wichtiger Vers der Bibel weckt auch den Eindruck, dass Christus tatsächlich für die ganze Welt gestorben ist. Es ist die Stelle, wo der Apostel Johannes sagt:

Und er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt. 1.Joh. 2,2

Wenn wir deshalb die Lehre der speziellen Sühne verstehen wollen, müssen wir unbedingt zwischen dem Angebot des Heils und dessen Inkraftsetzung. Gott bietet zwar durch die Verkündigung der „Frohen Botschaft“ allen Menschen die Möglichkeit gerettet zu werden, aber nur wenige nehmen dieses Angebot an. Viele bleiben ungläubig. Nur diejenigen, die Buße tun und dem Evangelium gehorchen, können durch das Blut Christi von ihren Sünden gewaschen werden. Für die anderen hat dieses Blut keine Wirkung. Nehmen wir an, Gott wusste von Anfang an, wer an seinen Sohn glauben würde, was spricht dann noch gegen die spezielle Sühne? Christus ist nur für diejenigen gestorben, die tatsächlich glauben werden.

Belege für diese Lehre im Alten Testament

Das Passahereignis zeigt deutlich, dass nicht die Ägypter, sondern ausschließlich Israel unter dem Schutz des Blutes des Passahlammes stand. Wir lesen in 2.Mose 12, 22-23:

Und nehmt ein Büschel Ysop und taucht es in das Blut in dem Becken und bestreicht damit die Oberschwelle und die beiden Pfosten. Und kein Mensch gehe zu seiner Haustür heraus bis zum Morgen. Denn der HERR wird umhergehen und die Ägypter schlagen. Wenn er aber das Blut sehen wird an der Oberschwelle und an den beiden Pfosten, wird er an der Tür vorübergehen und den Verderber nicht in eure Häuser kommen lassen, um euch zu schlagen.

Diese Stelle macht unmissverständlich klar, dass nur da, wo geglaubt wurde und das Blut an der Tür gefunden wurde, der Verderber vorüberging.

Im Buch des Propheten Jesaja finden wir eine erstaunliche Prophetie über den kommenden Messias. Dort steht in Kapitel 53, Vers 8:

Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war.

Jesus wurde für die Missetat des Volkes geplagt. Mit Volk war damals das Volk Israel gemeint, aber prophetische Bücher wie Hosea zum Beispiel machen deutlich, dass dieses Volk in der Zukunft auch aus Nicht-Juden bestehen würde. Wir halten fest, dass nur für diejenigen, die zum Volk Gottes gehören, der Messias sterben sollte.

Belege im Neuen Testament

Wenn Josef befohlen wird, Maria als Frau zu nehmen, sagt der Engel zu ihm:

Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.

Auch hier wird betont, dass der Retter für sein Volk kommt und die Rettung ausschließlich für dieses Volk gedacht ist.

Sehr interessant ist natürlich auch das, was Jesus selbst über sein Werk sagt. Wenn er über das Volk Gottes spricht, benutzt Jesus das Wort „Schafe“ oder „Herde“. So in Johannes 10:

Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Joh. 10,14-15

Einige Verse weiter macht Jesus klar, wer zu den Schafen gehört:

Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; Joh 10, 26-27

Jesu Worte in Markus 10,45 sprechen nicht für den Partikularismus, wie viele meinen, sondern wollen nur sagen, dass er für eine große Schar sterben würde:

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

In Titus 2 erklärt aber Paulus, dass Christi Tod eine genaue Zweckbestimmung hatte:

… der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken. Titus 2,14

Gott wollte sich durch den Tod seines Sohnes ein eigenes Volk reinigen. Das impliziert, dass er eine solche Absicht mit den Ungläubigen nicht hatte. Dieser Gedanke einer Zweckbestimmung wird ebenso in Hebräer 9 herausgestellt:

Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen. Hebr 9,15

Mit den Berufenen sind nicht alle Hörer der „Guten Nachricht“ gemeint, sondern diejenigen, die Gott wirksam zu sich ruft und diesem Ruf folgen. In Hebräer 10,14 wird erklärt, dass eine Vollendung durch das Blut Jesu nur für die Menschen gedacht ist, die Gott ausgesondert hat:

Denn mit einem einzigen Opfer hat er für immer die vollendet, die geheiligt werden.

Auch in 1.Petrus wird dieser Gedanke explizit betont: die Besprengung mit dem Blut Christi setzt voraus, dass ein Mensch dazu auserwählt wurde:

Petrus, Apostel Jesu Christi, an die auserwählten Fremdlinge… nach der Vorsehung Gottes, des Vaters, durch die Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi. 1. Petr 1,1

Problematische Stellen

Darunter verstehen wir Stellen der Bibel, die anscheinend für eine universale Wirkung des Blutes Jesu sprechen.

Fangen wir mit dem Alten Testament an! Wie lässt sich zum Beispiel erklären, dass im Alten Bund Tieropfer für das ganze Volk gebracht wurden. Unbestreitbar ist, dass auch Ungläubige Teile dieses Volks waren. Das Passahlamm wurde zwar nicht für die Ägypter geschlachtet, aber sein Blut beschützte auch Menschen, die später in der Wüste gefallen sind und Gott nicht gefielen. Dies gilt übrigens auch für die Sakramente, wie Paulus in 1. Korinther 10 zeigt:

… alle sind auf Mose getauft worden durch die Wolke und durch das Meer und haben alle dieselbe geistliche Speise gegessen und haben alle denselben geistlichen Trank getrunken; sie tranken nämlich von dem geistlichen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war Christus. Aber an den meisten von ihnen hatte Gott kein Wohlgefallen, denn sie wurden in der Wüste erschlagen. 1. Kor 10, 2-5

Das gleiche gilt auch für die Opfer, die tagtäglich am Altar gebracht wurden. Wir lesen zum Beispiel in 4. Mose 15,25:

Und so soll der Priester für die ganze Gemeinde der Israeliten Sühne schaffen und es wird ihnen vergeben sein…

Im Hinblick auf den großen Versöhnungstag lesen wir in 3. Mose 16,17:

So soll er (der Hohepriester) Sühne schaffen für sich und sein Haus und die ganze Gemeinde Israel.

Diese Verse lassen erkennen, dass auch wenn das Blut der Opfer nicht für die ganze Welt bestimmt war, sondern nur für das Volk, zumindest viele Ungläubige sich im Volk befanden und Blut auch für sie vergossen wurde.

Das Argument, dass die Tieropfer des Alten Bundes unvollkommen waren und man sie nicht mit dem Blut Jesu vergleichen sollte, ist an dieser Stelle irrelevant, denn auch der Hebräerbrief betont, dass Jesu Blut von Menschen geschmäht werden kann, die im Bund stehen und geheiligt wurden:

Eine wie viel härtere Strafe, meint ihr, wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes für unrein hält, durch das er doch geheiligt wurde, und den Geist der Gnade schmäht? Hebr 10,29

Was antworten wir dazu?

Wir vertreten die Ansicht, dass wir hier, sowie in 2.Petrus 2,1, mit Menschen zu tun haben, die dem Blut Jesu zumindest eine Zeit lang einen besonderen Wert eingeräumt haben, die aber letztendlich nicht wirklich gerettet wurden. Dies gilt auch für die Israeliten des Alten Bundes, welche durch die Tieropfer geheiligt wurden, jedoch keine Vergebung erlangt haben.

Dass auch Ungläubige geheiligt werden können, d.h. unter einem besonderen Segen stehen, wird von der Schrift an mehreren Stellen gelehrt. Schauen wir zum Beispiel, was Paulus über den Ehepartner eines gläubigen Menschen sagt:

Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau, und die ungläubige Frau ist geheiligt durch den gläubigen Mann. Sonst wären eure Kinder unrein; nun aber sind sie heilig. 1. Kor 7,14

Es kann deshalb sein, dass ein Mensch bekennt, dass Christus für seine Sünden gestorben ist und dennoch am Ende verloren geht, weil er nicht im Glauben ausgeharrt hat.

Wir lesen in 2. Petrus 2 folgenden Vers:

Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat; die werden über sich selbst herbeiführen ein schnelles Verderben.

Hier wird behauptet, dass Christus auch Menschen „erkauft“ hat, die sich später als falsche Lehrer erwiesen haben und deshalb zu den Verlorenen gehören. Auffällig in diesem Vers ist, dass Petrus nicht das übliche Wort kurios verwendet, wenn er vom Herrn spricht, sondern despotes, was viel weniger für eine innige Beziehung zwischen dem Diener und seinem Meister spricht. Das griechische Verb für „erkaufen“ ist exagorazô. Normalerweise wird für die Bezahlung eines Lösegelds das Verb lutroô benutzt, aber exagorazô wird in auch zum Beispiel in Offenbarung 14,4 dafür verwendet:

Diese sind erkauft aus den Menschen als Erstlinge für Gott und das Lamm…

Es gibt deshalb zwei Möglichkeiten, diesen Vers zu verstehen, sodass die Lehre der speziellen Sühne am Ende nicht widerlegt wird:

  • Es handelt sich hier nicht um eine echte, sondern um eine scheinbare Erlösung. Diese Menschen „behaupten“, Jesus Christus als ihren Herrn zu kennen, aber ihre Werke beweisen das Gegenteil. Mit einer gewissen Ironie verwendet Petrus ihren eigenen Wortschatz.
  • Petrus bezieht sich auf einen Text des Alten Testaments (5. Mose 32,5-6), der die Entstehung des Volkes Israel durch Gottes Eingreifen beschreibt:

Das verkehrte und böse Geschlecht hat gesündigt wider ihn; sie sind Schandflecken und nicht seine Kinder. Dankst du so dem HERRN, deinem Gott, du tolles und törichtes Volk? Ist er nicht dein Vater und dein Herr? Ist’s nicht er allein, der dich gemacht und bereitet hat?

Die Gemeinde Gottes ist auch ein soziologisches Phänomen und deren Existenz lässt sich nur durch Gottes Eingreifen erklären.

Schlusswort

Wenn wir über das Werk Jesu sprechen, ist es wichtig, dass wir einen Unterschied zwischen der möglichen und der tatsächlichen Wirkung dieses Werks machen. Das Blut Jesu kann jeden Menschen von seinen Sünden reinigen und kommt in gewissem Maße jedem zugute, der da glaubt, aber nur diejenigen von seiner tatsächlichen Wirkung profitieren, die tatsächlich durch den Geist Gottes wiedergeboren wurde.

Wer behauptet, dass das kostbare Blut Jesu für alle geflossen, schmälert die Kraft dieses Bluts, denn er suggeriert, dass das Werk Jesu bei der überwiegenden Mehrheit sein Ziel verfehlt hat.

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