Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Der Psalm 22 beschreibt das Leiden eines Menschen, der sich von Gott total verlassen fühlt. Es ist nicht klar, ob der Autor dieses Psalms, David, auf einen Abschnitt seines eigenen Lebens verweist oder ob er auf jemand anderen schaut. Vieles in diesem Psalm lässt vermuten, dass er vielleicht an die Ereignisse denkt, als er vor seinem eigenen Sohn Absalom fliehen musste:

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volke. Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf…
Psalm 22:7-8

Die Tradition der Kirche hat in diesem Psalm eine erstaunliche Prophetie über das Leiden Christi erblickt. Es ist nicht nur eine vage Vermutung, denn das Neue Testament unterstützt explizit diese Sicht. Das 27. Kapitel vom Matthäusevangelium erwähnt mindestens 4 mal diesen Psalm:

  • der Vers 35 erwähnt zum Beispiel, dass die Kleider Jesu geteilt wurden (Ps. 22,19)
  • der Vers 39 berichtet über diejenigen, die Jesus verspottet haben (Ps. 22,8)
  • im Vers 43 wird Jesus verhöhnt, in dem man ihm empfiehlt, sich wegen seinem Leiden an Gott zu wenden (Ps. 22,9)
  • der Vers 46 zitiert den Aufschrei Jesu: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Ps. 22,2)

Es ist nicht ohne Zweck, wenn Matthäus der Evangelist sich auf diesen Psalm bezieht. Er will nicht nur Jesus als eine gute und treue Person darstellen, welche zu Unrecht leidet und am Ende auf brutaler Weise umgebracht wird, sondern möchte auch betonen, dass dieser Tod unerwartete Früchte hervorbringen wird. Ab dem Vers 22 nämlich, der Leidende, fast in Vergessenheit geraten, erfährt endlich, dass seine Gebete erhört werden: von Gott befreit, will er seinen Retter in der Gemeinde rühmen:

du hast mich erhört! Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen
V. 22-23

In diesen Versen haben viele eine Anspielung auf die Auferstehung Jesu gesehen, denn wie soll der tragischer Ausgang (V.16: du legst mich in des Todes Staub) vermieden werden? Der Siegesschrei des leidenden Knechts kann nur der Aufschrei von jemand sein, der aus dem Tod gerissen wurde.

Die Frucht dieses Leidens ist umso mehr unerwartet, dass sie letztendlich nicht nur dem Volk Israel zugute kommt, sondern auch unbekannten Völkern:

Es werden gedenken und sich zum HERRN bekehren aller Welt Enden und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden.
V. 28

Der Hebräerbrief verrät uns den Grund für das Leiden vom Gottes Sohn:

Denn es ziemte sich für den, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, dass er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete. Denn weil sie alle von „einem“ kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, und spricht: »Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen.«
Hebräer 2, 10-12

und das Evangelium unterstreicht, dass dieses Opfer nicht nur für die Juden, sondern auch für die ganze Welt gilt:

Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Johannes 3,16

In seiner Menschlichkeit wurde der Sohn Gottes unser Bruder, damit er durch seinen Tod am Kreuz den Preis für unsere Sünde bezahlen und die Vergebung Gottes ermöglichen konnte.

Ein Kommentar

  1. Wir haben diesen Psalm heute Morgen im Gottesdienst gelesen. Es ist wirklich erstaunlich, wie deutlich der Psalmist vom Heil für alle Menschen spricht. Gut, davon zu wissen und es glauben zu dürfen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s