Das einzige Kapitel der Bibel, in dem von einem tausendjährigen Reich buchstäblich die Rede ist, ist Offenbarung 20. Es beschreibt wie ein großer Engel vom Himmel herunterkommt und Satan für 1000 Jahre in Ketten legt.
Je nach dem, ob man diese Worte wörtlich nimmt oder eher allegorisch, spricht man von Prämillenarismus – weil die Wiederkunft Jesu vor dieser Zeitperiode erfolgt – oder von Postmillenarismus und Amillenarismus.

Die römisch-katholische Kirche, so wie die lutherischen und reformierten Kirchen vergeistlichen diesen Text und vertreten in der Praxis eine Mischung aus Postmillenarismus und Amillenarismus. Wird der Text dagegen eher wörtlich ausgelegt, wie in den meisten Freikirchen und im pietistischen Milieu, erwarten die Christen ein Millenium unmittelbar nach der Wiederkunft Jesu.

Der Postmillenarismus besagt, dass die christliche Botschaft im gegenwärtigen Zeitalter schließlich bewirken wird, dass die Welt im Großen und Ganzen bekehrt und für Christus gewonnen wird. Dies wird uns in eine Welt führen, die durch allgemeinen Frieden statt Streit, allgemeines Wohlergehen statt Ungleichheit, Frömmigkeit statt Bosheit und so weiter gekennzeichnet ist, wobei die entsprechende Zeitdauer mehr oder weniger als eintausend Jahre betragen kann.

Die Amillenaristen glauben, dass die Kirche schon jetzt Ausdruck des tausendjährigen Reiches Christi ist, wobei „tausendjährig“ nicht als eine buchstäblich eintausend Jahre umfassende Zeit verstanden wird, sondern als die Herrschaft Christ, wie wir sie zwischen seiner Himmelfahrt und seiner Wiederkunft erfahren.

Nach Auffassung der Prämillenaristen können Gerechtigkeit und Frieden erst im Zusammenhang mit der Wiederkunft Christi herbeigeführt werden, wenn der König sichtbar und leiblich gegenwärtig ist. Im Hinblick auf die Eschatologie unterscheidet sich der dispensationalistische Prämillenarismus vom historischen Prämillenniarismus vor allem durch die Überzeugung, dass sich Israel als Volk in der Endzeit versammelt und bekehrt und das ihm gegebene Versprechen des Landes im tausendjährigen Reich Christi erfüllt werden wird. Viele Vertreter des Dispensationalismus beharren bei dieser Unterscheidung darauf, dass Gott zwei Völker habe: die Kirche sei sein himmlisches Volk und Israel sei sein irdisches Volk.

Welche Meinungen wurden in der Kirchengeschichte vertreten?

Der Millenarismus – damals Chiliasmus genannt – war im Urchristentum in vielen Kreise vertreten. Man behauptet oft, dass Irenäus aus Lyon diese Lehre vertreten hätte. Man findet aber nichts darüber in seinen Schriften. Einige Kirchenväter haben jedoch den Chiliasmus verkündet. Im Gegensatz positionierte sich die alexandrinische Schule, unter Führung von Männern wie Clemens und Origenes, klar gegen solche „jüdisch-materialistischen“ Ansichten über die Zukunft. Unter dem zusätzlichen Einfluss von Augustinus wurde der Prämillenarismus im Verlauf des Mittelalters zunehmend aufgegeben und war auch während der gesamten Reformationszeit und der nach-aufklärerischen Kirchenzeitalter wenig populär. Tatsächlich dauerte es bis zum neunzehnten Jahrhundert, bis sein Comeback begann.

Die Stärke des Prämillenarismus – insbesondere des Dispensationalismus – ist nicht seine Klarheit, sondern seine „scheinbare“ Treue zum biblischen Text. Ein Spiritualisierung der Bibel erschreckt viele „bibeltreue“ Christen, weil sie denken, dies würde die Autorität der Bibel untergraben.

Warum die allegorische Interpretation konsequenter ist?

Ich halte persönlich eine wörtliche Auslegung von Off. 20 für problematisch. Die Argumente, die man zugunsten eines wörtlichen tausendjährigen Reiches vorlegt, sind mehr eine gedankliche Kontruktion als fundierte biblische Belege.

Die Offenbarung ist ein Buch, in dem Symbole reichlich vorhanden sind und in welchem sich bestimmte Ereignisse wiederholen. Der Versuch, alles wörtlich oder chronologisch zu deuten, führt an manchen Stellen zu absurden Behauptungen. Dazu ein Beispiel: Die letzte Schlacht, die am Ende von den 1000 Jahren geschildert wird, ist eine Prophetie aus Hesekiel 38. Interessanterweise wird genau der selbe Kampf bereits am Ende von Kapitel 19 (also vor der Wiederkunft Christi) erwähnt. Es handelt sich hier eindeutig um eine Wiederholung.

Aber wie lässt sich Offenbarung 20 allegorisch deuten?

Zunächst muss klar gestellt werden, dass wenn das Neue Testament von den letzten Tagen spricht, wird eine Zeitperiode gemeint, die bereits mit dem ersten Kommen Jesu angefangen hat (Apg 2,17; Heb 1,2; Jak 5,3). Auch das Argument aus 1 Korinther 15, 25 zugunsten eines tausendjährigen Reichs (Denn er muss herrschen, bis Gott ihm »alle Feinde unter seine Füße legt«) kann man auf die Zeit der Kirche beziehen (siehe auch Daniel 2, 44)

Das Neues Testament lehrt eindeutig, dass das Gebundenwerden Satans durch das Wirken Jesu auf Erde bereits stattgefunden hat. Belege dafür sind Texte wie Matthäus 12:28-29 und Lukas 10:17-18. Dass Satan gebunden ist, bedeutet nicht dass er keinen Freiraum mehr hat, sondern dass er wegen der erschienenen Gnade Gottes seine Macht als Ankläger verloren hat.

Die Wiedergeburt wird oft mit einer Auferstehung aus den Toten verglichen: Der Kolosserbrief betont, dass wir bereits mit Jesus zu einem neuen Leben auferstanden sind (Kol. 2,12 ; 3,1). Johannes teilt uns mit, dass wir bereits mit Christus herrschen (Offenbarung 1, 9)

Eine genaue Beobachtung von 1 Thessalonicher 4 und 5 zeigt, dass Ankunft des Herrn und Tag des Herrn ein und dasselbe Ereignis sind. Paulus unterstreicht in 1 Thess 4, 16 dass die Ankunft des Herrn für seine Gemeinde mit einem Posaunenschall begleitet wird, was in Offenbarung 11 der siebten Posaune entspricht; diese Posaune ist die letzte vor dem Endgericht. Eine Analyse des Begriffs „Tag des Herrn“ im Kapitel 5 ließe sich anhand des Alten Testaments problemlos auf das Jüngste Gericht anwenden.

Noch einmal zum Schluss: eine allegorische Interpretation von Offenbarung 20 bedeutet nicht, dass man die Wiederkunft Jesu und das ewige Reich in Frage stellt. Die Heilsgeschichte erscheint jedoch einfacher: Jesus kommt wieder, danach folgt das Jüngste Gericht und dann die Ewigkeit.