Jesus im A.T.: der Engel des Herrn

engel des herrnIm Alten Testament begegnen wir oft einer rätselhaften Figur: dem sogenannten Engel des Herrn. Warum wird in den meisten Übersetzungen dieser Engel nicht einfach EIN Engel des Herrn genannt? Warum spricht dieser Bote oft mit einer solchen Autorität, als ob er selbst Gott wäre?

Lasst uns einige Stelle anschauen, wo von diesem Engel die Rede ist!

Als Hagar  Saras Dienerin und Abrahams Nebenfrau auf der Flucht vor ihrer Herrin war, begegnet sie dem Engel, der zu ihr sprach:

Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.
1 Mose 16, 10

Sie nannte ihn den Gott, der mich sieht (El Roi)

Als Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte, wie Gott ihm befohlen hatte, rief ihn der Engel des Herrn und sprach:

Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
1 Mose 22, 11

Dieser Engel spricht auch zu Jakob im Traum und sagt:

Ich bin der Gott, der dir zu Bethel erschienen ist, wo du den Stein gesalbt hast, und du hast mir daselbst ein Gelübde getan.
1 Mose 31, 13

Am Ende seines Lebens, wenn er die Söhne Josefs segnet, bittet Jakob diesen Engel, der solle die Knaben segnen. Über diesen Engel sagt er, er sei bis zum heutigen Tag sein Hirte gewesen (1 Mose 48, 15-16)

Den Engel des Herrn finden wieder in der Wüste Sinais, wo Mose die Schafe seines Schwiegervaters hütete. Er erscheint Mose in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. (2 Mose 3, 2). Aus diesem Dornbusch hört Mose eine Stimme, die sagt:

Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.
2 Mose 3, 6

Der Engel erscheint Bileam, der sich auf den Weg gemacht hatte, um das Volk Israel zu verfluchen und spricht zu ihm:

Siehe, ich habe mich aufgemacht, um dir zu widerstehen; denn dein Weg ist verkehrt in meinen Augen.
4 Mose 22, 32

In Richter 2 erscheint wieder der Engel des Herrn und redet zu dem Volk Israel:

Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt und ins Land gebracht, das ich euren Vätern zu geben geschworen habe, und gesprochen, ich wollte meinen Bund mit euch nicht brechen ewiglich.

Der Engel erscheint auch Gideon (Richter 6) und befiehlt ihm ein Opfer darzubringen. Nachdem Gideon es getan hat, streckt der Engel seinen Stab aus und verzehrt das Opfer durch Feuer.

Wir könnten noch viele Stellen zitieren, wo dieser merkwürdige Engel erscheint. In der Kirchentradition wurde dieser Engel fast immer mit Jesus Christus identifiziert.

Nun bemerken einige, dass wir den Begriff  „der Engel des Herrn“ in manchen Übersetzungen, darunter in der Lutherübersetzung, auch im Neuen Testament nach der Geburt Christi finden. In der Lutherübersetzung erscheint dieser Engel Josef und befiehlt ihm, Maria als Frau zu nehmen (Matthäus 1, 20), dann als Herodes das Kind töten will, nach Ägypten zu fliehen (Matthäus 2, 13). Es ist auch der Engel des Herrn, der bei der Auferstehung Jesu den Stein wegrollt (Matthäus 28, 2). Ist es nicht ein klarer Beweis, dass dieser Engel nichts mit Jesus zu tun hat?

Nichts in dem griechischen Urtext erlaubt uns eine solche Unterscheidung zu machen. Es steht einfach: „siehe Engel des Herrn“ (idou aggelos kuriou). Hier hat die Lutherbibel (wie die alte King James übrigens) willkürlich übersetzt. Es handelt sich nicht um „den“, sondern um „einen“ Engel. Einige Kommentatoren (wie W. G. MacDonald) haben auch gemerkt, dass dies auch für das hebräische Alte Testament gilt.

Wir denken, dass der Engel des Herrn zumindest in den Bibelstellen, die wir erwähnt haben, der Sohn Gottes ist, weil er Eigenschaften Gottes auf sich anwendet, nicht weil der Text eine grammatikale Besonderheit aufweist:

  • Er wird als Gott wahrgenommen
  • Er spricht als ob er Gott wäre
  • Er befiehlt Dinge aus eigener Autorität
  • Er vergibt Sünden
  • Er handelt als Richter
  • Er nimmt Anbetung an
  • Er tröstet
  • Er gibt Verheißungen

Es ist erstaunlich, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes, im Neuen Testament auch so gehandelt hat.

Er sagt in Johannes 14, 9 : Wer mich sieht, der sieht den Vater! In Johannes 10, 30: Ich und der Vater sind eins. In Matthäus 8, 26 steht er auf im Boot und bedroht den Wind und das Meer. Da wurde es ganz stille. Er heilt und vergibt die Sünden (Markus 2, 5). In Offenbarung 19 kommt er als Richter. In Johannes 20, 28 wird er von Thomas als Gott angebetet. Im Matthäus 11, 28-39 tröstet er die Mühseligen und Beladenen. In Johannes 14 verheißt er seinen Jünger einen Platz im Himmel.

8 Kommentare

  1. Richtig gut beschriebener Beitrag! Habe mich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt und sehe es genauso wie du. Vielen lieben Dank!!!

  2. 2Moe 3,2 וירא מלאך יהוה אליו בלבת־אש
    da steht aber auch keine Artikel(Der), also wäre es doch logischer mit „ein engel des herrn“ zu übersetzen oder kann man im hebräischen etwas bestimmtes ohne artikel ausdrücken?

    • Um eine Genitivverbindung zu erzeugen, benutzt das Hebräische die sogennante Constructus-Verbindung. Das erste Wort (bspw. Engel / Bote …) steht im status constructus; das darauffolgende im status absolutus (… des HERRN). Das letzte Wort, das im st.cstr. steht, entscheidet darüber, ob die gesamte Cstr.-Verbindung determiniert (d.h. bestimmt) oder undeterminiert (unbestimmt) ist. Handelt es sich bei dem letzten Wort um
      (1) einen Eigennamen (bspw. JHWH) oder
      (2) um ein Nomen mit personalem Suffix (bspw. >eurermeines< Volkes) oder
      (3) um ein Nomen mit Artikel
      ist die gesamte Cstr.-Verbindung determiniert, d.h. sie MUSS mit bestimmten Artikel übersetzt werden.
      In unserem Beispiel מלאך יהוה ("Engel / Bote des HERRN") liegt (1) eine Cstr.-Verbindung vor. (2) Ist das letzte Wort ("des HERRN") ein Eigenname, nämlich das Tetragramm JHWH. Damit ist die gesamte Verbindung determiniert und MUSS durchgehend mit bestimmten Artikel übersetzt werden: DER Engel DES Herrn. Die Übersetztung "EIN Engel des Herrn" ist nicht zulässig.

  3. Interessante Bemerkung! Im hebräischen ist es tatsächlich anders, denn das Komplement spielt hier eine wichtige Rolle. Ausdrücke wie Malakh JHWH (Engel des Herrn) oder Malakh Panijim (Engel, der vor seinem Angesicht steht) in Jes 63,9 werden so weit ich weiß nur für diesen besonderen Engel (den Sohn Gottes) gebraucht.

    • in der griechischen Septuaginta sind aber diese alttestamentlichen Bibelstellen mit dem „Engel des Herrn“ alle genauso ohne Artikel geschrieben wie die neutestamentlichen Stellen vom „Engel des Herrn“, der an diesen ntl. Stellen nur schwerlich Christus sein kann. Wie kann man dann sagen, dass der Engel des Herrn im AT eine Offebarung Jesu ist, aber im NT ist er ein anderes Wesen? Im griechischen Text gibt es jedenfalls keine Unterscheidung zwischen dem „Engel des Herrn“ im AT und dem „Engel des Herrn“ im NT

      • Allein mit grammatikalischen Regeln lässt sich das nicht entscheiden.
        Es ist tatsächlich sowohl der Kontext als auch die theologischen Annahmen, die über die zu gebende Bedeutung entscheiden werden.

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