Ich knüpfe an den Artikel von Apologet.de an ( Was heißt hier reformatorisch? ) und möchte zeigen, dass es in den Gedanken von Reformatoren wie Luther, Zwingli und Calvin nicht um die Frage ging: Wie können wir, jetzt dass wir das Prinzip der Sola Scriptura wieder entdeckt haben, die konfessionellen Grenzen abschaffen? Für sie ging es primär um konkrete Frage wie: Wo ist wahre Kirche, wo ist Einheit möglich und mit wem kann ich Gemeinschaft am Tisch des Herrn haben? Denn zur Zeit der Reformation gab es zahlreiche radikale Sekten, die ebenso den Anspruch erhebten, die Kirche zu reformieren.

Diese Frage ist äußerst aktuell, gerade weil wir in einer Zeit leben, wo insbesondere in der ev. Welt nach Einheit gestrebt wird (im Rahmen der Evangelischen Allianz zum Beispiel), und weil unsere Bekenntnisse zwangsläufig ein wenig in den Hintergrund rücken.

Um diese Frage zu lösen, war – dies gilt für alle Reformatoren – das Glaubensbekenntnis von höchster Bedeutung. Es bildete keine Autorität neben der Heiligen Schrift, sondern war ein konsensuales Hilfsmittel, um festzulegen, was biblisch ist. Sola Scriptura bedeutete niemals, dass man die Schrift willkürlich auslegen durfte! In manchen reformierten Kirchen ist es am Sonntag üblich, einen zweiten Gottesdienst nachmittags zu feiern, wo der Katechismus ausgelegt wird. Dass manche antikonfessionellen reformierte Christen (wie Martyn Lloyd-Jones zum Beispiel) diese Praxis verurteilen, ändert nichts an der Tatsache, dass es eine reformierte Tradition war und bleibt. In den Gedanken der Reformatoren war jede Abweichung von den Bekenntnissen ein Indiz für unbiblische Lehre und ebenso dafür, dass man eventuell mit einer „falschen“ Kirche zu tun hatte.

Das niederländische Bekenntnis (im Artikel 29) gibt uns zum Beispiel diese Definition der wahren Kirche:

Die Kennzeichen, durch welche die wahre Kirche sich von der falschen unterscheidet, sind diese: wenn sich die Kirche der reinen Predigt des Evangeliums und der lautern Verwaltung der Sakramente nach der Einsetzung Christi bedient; wenn sie sich der Kirchenzucht recht zur Besserung der Fehler bedient; wenn sie endlich (damit wir alles mit einem Worte zusammenfassen) alles nach der Vorschrift des Wortes Gottes tut und alles, was ihm widerstreitet, verabscheut und Christus für das einzige Haupt anerkennt …

Diese Definition erlaubt sicherlich eine gewisse Interpretationsfreiheit: wie wir sehen, sind nicht alle Glaubensfragen primordial. Wir sollten dennoch nicht denken, dass diese Begriffe nur sehr vage Konzepte waren und dass jede evangelische/evangelikale Gemeinde diese Bedingungen erfüllt.

Die reine Predigt des Evangeliums

Nicht jede Kirche, die sich mit dem Attribut evangelisch schmückt, ist wirklich evangelisch. Denn im reformierten Sinne geht es dabei zu glauben, dass der Mensch durch Gnade alleine (sola gratia), mittels des Glaubens (sola fide) und aufgrund vom Jesu Werk am Kreuz (solus christus) gerettet werden kann.
Selbstverständlich geht es auch darum, dass diese zentrale Botschaft gepredigt wird und dass wir fest daran glauben, dass sie Menschen zur Umkehr führen kann. Man könnte hier die Frage stellen: wie viele Gemeinden sind wirklich bemüht, dieses Evangelium zu predigen?

Die lautere Verwaltung der Sakramente

Mit Sakramenten sind nicht die 7 Sakramente der katholischen Kirche gemeint, sondern nur die beiden, die Jesus eingesetzt hat: die Taufe und das Abendmahl. Diese Sakramente sind Wahrzeichen unserer Errettung. Wer sie ignoriert, ignoriert die Tatsache, dass der Mensch subjektiven Empfindungen nur schlecht vertrauen kann und dass Gott aus diesem Grund neben seinem Wort auch konkrete Zeichen bestimmt hat, um den Glauben zu stärken.

Mit lauterer Verwaltung der Sakramente ist folgendes gemeint: ist die Bedeutung dieser Zeichen für alle klar? Werden die Sakramente von den richtigen Personen empfangen? Nehmen wir das Abendmahl zum Beispiel ! Wenn das die höchste Form der Gemeinschaft zwischen dem erhöhten Christus und seiner Gemeinde bedeutet, dann soll unbedingt vermieden werden, dass „unwürdige“ Menschen daran teilhaben.

Die Kirchenzucht

Der Begriff klingt vielleicht für viele veraltet. Kirchenzucht bedeutet vor allem, dass Kirche in erster Linie keine ungenaue, überkonfessionelle Größe ist, sondern eine sichtbare Einrichtung mit Gaben und Ämtern. Viele Evangelikale meinen, sie brauchen keine örtliche Kirche, weil sie sowieso Mitglied in der „unsichtbaren“ Gemeinde Jesu sind. Es ist leider oft so, dass wenn jemand Ärger in seiner Gemeinde bekommt, er in eine andere geht. Viele fühlen sich keineswegs verpflichtet, regelmäßig in den Gottesdienst zu gehen und sind mit ihrem Hauskreis zufrieden. Und das Schlimme ist: die Gemeindeleiter unternehmen oft nichts dagegen, oder dürfen nicht.

So hat sich Jesus Christus die Gemeinde nicht vorgestellt, sondern hat zu Petrus gesagt:

Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Matthäus 16, 18-19

Im Grunde bedeutet das Amt der Schlüssel folgendes: Was in der örtlichen Gemeinde geschieht hat auch Konsequenzen im Himmel. Die Aussage „Kein Heil außerhalb der Kirche“ ist deshalb auch reformiert.

Ist Gemeinschaft nur innerhalb der wahren Kirche möglich?

Eine wichtige Frage bleibt dennoch: wie verhalten sich reformierte Christen mit „Christen“, die der wahren Kirche nicht angehören? Sind Christen auch dort zu finden? Ich glaube schon! Um jedoch sicher zu erfahren, ob wir mit jemand eine innige Gemeinschaft haben können, besitzen wir (laut historischen reformierten Bekenntnissen und Kirchenordnungen) nur zwei Kriterien:

  • das Bekenntnis dieses Menschen: bekennt er einen „reformierten“ Glauben?
  • die Lebensführung dieses Menschen: sucht er Gott zu gefallen oder handelt es sich um ein Lippenbekenntnis?

Die erste Frage macht uns Schwierigkeiten, denn viele behaupten heute „reformiert“ oder „reformatorisch“ zu sein. Ist jemand, der an die 5 Solas der Reformation und an die 5 Punkte des Calvinismus (oder nur an 4 davon) „reformiert“? Kann ein Reformierter Dispensationalist sein? Welche Rolle spielt seine Ekklesiologie (sein Verständnis von Gemeinde)? Dürfen Presbyterianer (die glauben, dass ihre Kinder im Bunde sind) Reformierte Baptisten zum Tisch des Hernn zulassen? Und umgekehrt: dürfen Reformierte Baptisten Gemeinschaft mit Presbyterianern haben, wenn diese „nicht getauft“ sind?

Ich habe nicht vor, diese Fragen hier zu beantworten. Einer der Gründe dafür ist, dass es unter den reformierten (!) Kirchen keine eindeutige Position gibt.