Ein Vers aus der Bibel, im Buch des Propheten Jesaja, wird uns zweifellos schockieren. Es handelt sich um die Aussage in Kapitel 45, Vers 7, dass Gott „das Licht macht und die Finsternis schafft, Frieden gibt und Unheil schafft“. Das hebräische Wort, das in der Schlachter-Bibel mit „Unheil“ übersetzt wird, ist das Wort רַע (rā‘), das auch „Böses“ bedeuten kann.

Ist damit zu verstehen, dass Gott der Urheber des Bösen in der Welt ist? Wenn ja, kann man dann noch behaupten, wie es in Psalm 145, Vers 17 heißt, dass Gott gerecht ist in allen seinen Wegen und gnädig in allen seinen Werken?

Betrachten wir zunächst den Kontext dieser Worte! Es handelt sich um eine Prophezeiung über den zukünftigen König von Persien, Kyrus, den Gott erwecken wird, um seine Pläne zu verwirklichen. Der Prophet Jesaja verkündet im 8. Jahrhundert v. Chr., dass Gott diesen heidnischen König etwa zwei Jahrhunderte später benutzen wird, um sein Urteil über Babylon zu vollstrecken und sein Volk aus der Gefangenschaft zu befreien. In Vers 4 erfahren wir, dass Gott all dies tun wird, ohne dass Kyrus davon weiß. Dieser König wird also ein Werkzeug in der souveränen Hand Gottes sein.

Ein solches Handeln Gottes kann bei den Empfängern der Prophetie nur Verwunderung hervorrufen. Durch welche Macht ist das möglich? Deshalb fügt der Herr in Vers 6 rhetorisch hinzu: „damit vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang erkannt werde, dass gar keiner ist außer mir. Ich bin der HERR, und sonst ist keiner.“

Schauen wir zunächst einmal, ob der Text wirklich bedeutet, dass Gott der Urheber des Bösen (im moralischen Sinne) ist! Das hebräische Wort rā‘ kann zwar so übersetzt werden (das ist seine übliche Bedeutung), aber es kann auch Unheil oder Widrigkeiten bedeuten. Im zweiten Fall, der wahrscheinlich die Bedeutung unseres Textes ist, muss man verstehen, dass nichts Gutes oder Böses geschieht, ohne dass Gott es vorhergesehen und sogar bestimmt hat.

Tatsächlich gibt es in diesem Vers 7 einen doppelten antithetischen Parallelismus zwischen einerseits Licht und Finsternis und andererseits Frieden und Unheil. Gott ist der Urheber des Friedens, aber er kann auch Gericht üben und Krieg zulassen. Er tut dies auf geheimnisvolle und verborgene Weise, ohne jedoch seine Heiligkeit und Gerechtigkeit zu kompromittieren.

Wie ist das möglich? Die Aussage in Vers 6, dass außerhalb Gottes keiner ist (wörtl: das Nichts), soll uns auch die Allmacht Gottes verständlich machen. Er hat alle Dinge durch sein mächtiges Wort geschaffen und erhält sie aufrecht, und nichts würde existieren, wenn er seinen Geist zurückziehen würde.

Der folgende Vers 8 gibt uns Aufschluss über die wahre Absicht des Herrn:

Träufelt, ihr Himmel, von oben herab, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf, und es sprosse Heil hervor, und Gerechtigkeit wachse zugleich! Ich, der HERR, habe es geschaffen.

Himmel und Erde sind dazu berufen, die Herrlichkeit der Erlösung und Wiederherstellung Israels zu bezeugen. Das Endziel Gottes ist nicht das Chaos, sondern dass Gerechtigkeit und Heil schließlich auf Erden hergestellt werden. Das kann uns nur an das Gebet Jesu im Vaterunser erinnern: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“